Donnerstag, 15. November 2007

Die Balkan-Falle

Es nähert sich der Showdown rund um das Kosovo und mit ihm ein unausweichlicher neuer Höhepunkt der Spannungen zwischen dem Westen und Russland. Es kommen nämlich die willkürlichen Termine, die den Kosovo-Albanern auf amerikanisches Betreiben für Präsidentschaftswahlen (17.11.) nahegelegt sowie für das Auslaufen der Kosovo-Statusgespräche (10.12.) festgelegt wurden.

Bislang war es nur auf Russland zurückzuführen, dass das Kosovo nicht schon längst aus Serbien herausgerissen wurde. Angesichts der immensen historischen und kulturellen Bedeutung, die das Kosovo für Serbien hat, scheint kein anderes Verb für diesen international beispiellosen Vorgang angebrachter. Mit der Ablehnung des Ahtisaari-Plans (obwohl sich die eine Seite mit Händen und Füssen dagegen wehrte, wurde er in der Westpresse zynisch als "Kompromiss" gelobt) und der Ankündigung eines Vetos im UN-Sicherheitsrat nahm Russland der auf die Zerstückelung eines souveränen Landes abzielenden Politik schon im Vorfeld jede völkerrechtliche Legitimität. Doch die USA kündigten an, die Unabhängigkeit Kosovos in jedem Fall anzuerkennen, notfalls einseitig. Bis dahin sollen noch allenfalls Statusgespräche stattfinden. Da ihnen jedoch von westlicher Seite gar kein anderer Lösungsspielraum mehr eingeräumt wird und das Ergebnis schon feststeht, sind sie im Grunde zur Farce degradiert.

Der Fall Kosovo demonstriert sehr gut, wie wenig es in der heutigen Weltpolitik einheitliche Spielregeln gibt. Im Allgemeinen stehen sich zwei Prinzipien gegenüber - das der Unantastbarkeit der staatlichen Integrität und das des Selbstbestimmungsrechts der Völker. Bislang gab die Weltgemeinschaft eher dem ersten Prinzip den Vorzug, würde doch die Flut an Separatismus die etablierten Staaten destabilisieren und die globale Sicherheit erschüttern. Doch spätestens seit der Klimapolitik weiß man, dass langfristige Konsequenzen die USA nicht sonderlich interessieren. Wie ein Schulhof-Rowdy, der sich unstrafbar vorkommt, betrachten sich die USA von allgemeinen Regeln unnötig beengt. Ein Land wie die USA benötigt zur eigenen Zielerreichung mehr Flexibilität. Das Land geht primär vom Prinzip der geopolitischen Zweckmäßigkeit aus und legt sich die Moral so zurecht, wie es sie gerade braucht. So wird in einem Fall ein bestimmtes Vorgehen durchgepeitscht, während in vergleichbaren Fällen eine diametral entgegengesetzte Position bezogen wird. Wie kann sonst erklärt werden, warum die Kosovo-Albaner ein Recht auf die Unabhängigkeit haben sollen, und die Serben in der serbischen Entität in Bosnien (Republika Srpska) ebenso wie Abchasen, Südosseten oder Transnistrier - nicht?

Klar ist, dass Russland bei diesem einseitigen Treiben kein gleichgültiger Zuschauer sein kann. Zwar ist Russland heute nicht stark genug, um in der internationalen Politik die Initiative zu erobern. Doch gegen allzu schamloses Vorpreschen der USA besitzt das Land unter Putin genug Reaktionsmöglichkeiten und vor allem Courage. Russland ist zwar nicht an der Zerrüttelung des bestehenden Prinzips der staatlichen Integrität interessiert, doch nach dessen Bruch durch die USA wird es keinen Grund geben, den de-facto unabhängigen Staaten auf dem GUS-Gebiet die Anerkennung zu verweigern. Das wiederum wird die Dämme für weitere Insurrektionen weich werden lassen, zum Beispiel auf der durch und durch russischen Halbinsel Krim.

All dies wird die USA zwangsläufig in Rage bringen und die gegenseitigen Spannungen bis zum Anschlag anheizen. Die geöffnete Pandora-Büchse wird jedoch nicht nur im GUS-Raum, sondern weltweit für Konflikte sorgen, für die die USA als Erstursache die Verantwortung tragen werden. Ob dies im Sinne des Machterhalts der USA mit ihrer derzeitigen Überforderung im Irak und Afghanistan ist, darf bezweifelt werden. In jedem Fall wird das Ergebnis des amerikanisch-russischen Tauziehens mehr als offen sein. Der Schuldige ist jedoch schon ausgemacht und die medialen Propaganda-Geschütze werden schon für die sich abzeichnene große Schlacht in Stellung gebracht.

Das Kosovo ist ein sehr ensthafter und unheilvoller Unterwasserstein der Weltpolitik und gerade als unabhängig denkender Beobachter sollte man genug Durchblick haben, den wahren Brandstifter in diesem Fall zu erkennen. Ein Weltkrieg ist bereits von Balkan ausgegangen. Muss heute für einen zweiten islamischen rückständigen Albanerstaat in Europa wieder ein großer Konflikt riskiert werden?

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