Sonntag, 12. Januar 2014

Wie der Westen Russland drängt, die Zügel fester zu halten

Putins Rede vor der föderalen Versammlung
Vielfach wird Russland vorgeworfen, von den "demokratischen" Errungenschaften der Jelzin-Zeit immer mehr abzurücken und in  Autoritarismus zu verfallen. Oder wie es zwei politisch abgewrackte Schreiberlinge formulierten, gar in "Tyrannie". Als Beispiele eines solchen Kurses werden der fehlende politische Wettbewerb, der vermeintliche Mangel an Pressefreiheit, die zunehmende Verstaatlichung, die Kontrolle der NGOs und die "Gängelung" der Opposition genannt.

Bei einer derartigen Haltung schwingt immer eine gewisse Simplifizierung und/oder Heuchelei mit, weil sie bewusst oder unbewusst einen wesentlichen Aspekt unterschlägt. Russland befindet sich in einem geopolitisch völlig anderem Spannungsfeld, als so manches Land mit "westlich-liberaler Demokratie".

Nur ein Land, das seinen Anspruch, ein unabhängiges Subjekt der Weltpolitik zu sein, zugunsten eines Mentors aufgegeben hat und in dessen Fahrwasser fährt, kann es sich leisten, eine relative Freiheit der politisch-gesellschaftlichen Prozesse zuzulassen, aber auch nur dann, wenn sichergestellt ist, dass eben dieses Fahrwasser nicht verlassen wird. Zu diesem Zweck existieren eine ganze Reihe von Instrumenten medialer, ökonomischer und politischer Natur, so dass unter dem Strich auf den oberflächlichen Blick so etwas wie politischer Wettbewerb, ökonomische und mediale Freiheit herrschen.

Will ein Land hingegen den Status eines eigenständigen Global Player mit den dazugehörigen Attributen nicht aufgeben und den Status eines Juniorpartners nicht einnehmen, wird es im Falle einer absolut offenen Gesellschaft einem immensen Unterwanderungsdruck des gerade stärkeren und erfahreneren Gegenspielers ausgesetzt: politische Aktivisten und Lobbyisten, die auf der Gehaltsliste einer fremden Macht stehen, strategische Unternehmen, die von Ausländern aufgekauft werden, und reichweitenstarke Medien, die die öffentliche Meinung für die Wahrnehmung fremder Interessen weichkochen.

Schaut man sich heute auf der Weltkarte um, stellt man fest, dass es kein einziges "demokratisches" Land gibt, das fundamentale geopolitische Ambitionen hat, die in irgendeiner Weise mit den Interessen der USA kollidieren und für die USA geopolitisch von Relevanz wären. Einzig Indien, sofern man es überhaupt eine Demokratie bezeichnen kann, könnte die USA mittelfristig in Südasien und im Nahen Osten herausfordern. Da das Land jedoch gleichzeitig mit China, Pakistan und dem Iran in Konkurrenz steht und es auch keine historische Vorgeschichte der Konfrontation mit Amerika gibt, halten die USA vorläufig die Füsse still.

Alle anderen selbständigen Akteure könnten sich sogar beim Vorhandensein des entsprechenden Willens den Luxus einer weitgehenden Liberalisierung nicht erlauben, wohlwissend was dies für die eigenen Positionen auf der internationalen Bühne bedeuten würde. Russland ist ein Land, das diesen Weg schon zum Teil gegangen ist und dann stoppte, bevor es zu spät wurde. Dass ein Spagatt zwischen Liberalisierung und Beibehaltung des Eigenständigkeit nur sehr schlecht funktioniert, musste Russland in den vergangenen 23 Jahren immer wieder spüren. Liberale Freiräume, die es gab und gibt, wurden skrupellos für die Durchsetzung von politischen und ökonomischen Interessen anderer Staaten ausgenutzt, sei es mit Hilfe der NGOs, gekaufter Medien oder Parteien. Solange die Gesellschaft noch Reste eines Autarkie-Bewusstseins trägt, wird außerdem an  ideologischer und historischer Front gegen sie gekämpft. Durch seine immer wieder aufflackernden subversiven Tätigkeiten zwingt der Westen Russland geradezu zu mehr Härte und Rücknahme dieser Freiräume. Nichtsdestotrotz trägt das heutige Russland diesen ständigen Kampf mit relativer Würde aus, bewahrt sich ein in dieser Situation immer noch mögliches Maximum an Liberalismus und verfällt nicht annähernd in eine Diktatur oder Despotie, die mit den anderen unabhängigen Playern vergleichbar wäre.

Was ist aber mit den USA selbst, werden jetzt einige fragen. Wie können sie selbst in einem geopolitischen Wettbewerb ein "liberal-demokratisches" Modell leben? Um das zu verstehen, muss man sich die Strukturen in den USA näher anschauen. Im Grunde ist die US-Gesellschaft trotz der deklarativen Offenheit sehr effektiv gegen äußere Einflüsse abgeschirmt. Das Wahlsystem zementiert die Zwei-Parteien-Herrschaft, so dass keine neue Kraft eine Chance hat. Politischer Lobbyismus anderer Staaten wird durch den Foreign Agents Registration Act (FARA) strengstens kontrolliert. Die Übernahme strategischer Branchen unterliegt ebenfalls stenger Überwachung. Einzig auf dem Gebiet der Medien bestehen gewisse Freiräume, wenngleich auch hier alternatives Gedankengut in Bezug auf Schlüsselereignisse der Weltpolitik durch ein raffiniertes System marginalisiert ist.

Bei einem realistischen Vergleich jenseits der plakativen Freiheitsbeanspruchungen, wird man feststellen, dass vieles, was in den letzten Jahren in Russland an Freiräumen zurückgenommen wurde und von Westen ausgiebig kritisiert wurde, erst die Herstellung von ähnlichen Zuständen wie im Westen selbst ist, Stichwort "gelenkte Demokratie". Bei den wieder eingeführten Wahlen der Gouverneure zeigt sich Russland sogar liberaler, als viele westliche Staaten. Wenn die jetzigen Zustände im Westen bei vergleichsweise geringem Druck von konkurrierenden Zentren der Weltpolitik bereits Fragen aufwerfen, kann man sich vorstellen, in welche Richtung sich das Ganze entwickeln wird, wenn sich im Verlauf des 21. Jahrhunderts die Kräfteverhältnisse immer weiter zuungunsten des Westens verschieben werden.

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