Mittwoch, 12. März 2014

Euromaidan: Ein Zwischenergebnis

Aktueller Premier Arseni Jazenjuk bei Kundgebung
Die wahre Bedeutung vieler historischer Ereignisse lässt sich, wenn überhaupt, erst mit einem zeitlichen Abstand ergründen, der groß genug ist. Doch bezüglich des Euromaidans kann man schon heute ein erstes Zwischenfazit ziehen, da zahlreiche Auswirkungen bereits jetzt sichtbar sind und sich in Zukunft noch verstärken werden. Der Aufstand in der Ukraine, der in den westlichen Medien ausgiebig als ein Auflehnen der progressiven und europäisch geprägten Menschen gegen einen korrupten Autokraten gefeiert wurde, zeigt ein völlig anderes Gesicht - das Gesicht des Ultra-Nationalismus, Intoleranz, Diskriminierung und abermaliger Oligarchenherrschaft.

Zwar ist unbestreitbar, dass bestimmte Personenkreise (vorläufig) zu den Gewinnern der Machtergreifung und der Umverteilungskämpfe zählen, doch aus der Sicht des gesamten Landes, das den Nationalisten angeblich so am Herzen liegt, sind die Ergebnisse des Maidans eine Katastrophe:

1) Dutzende Tote, Tausende Schwerverletzte und Invaliden auf beiden Seiten (siehe dazu auch den unteren Beitrag über die Zugehörigkeit der Heckenschützen)

2) Zerstörung der Kiewer Innenstadt und landesweite Demolierung von Verwaltungsgebäuden

3) Ein unwiderruflicher Verlust der Krim, zusammen mit den Pachteinnahmen durch die Schwarzmeerflotte sowie des mit ihr verbundenen Gasrabatts. Der Nato-Beitritt tritt in Wahrheit noch in weitere Ferne als zuvor, denn die Nato nimmt keine Länder mit Territorialproblemen und "okkupierten" Gebieten auf.

4) Polarisierung der Gesellschaft und Entfachung von separatistischen Bestrebungen in den südlichen und östlichen Regionen der Ukraine

5) Die Wirtschaft des Landes steht am Rande des Ruins. Die Ukraine sucht händeringend nach rettenden Krediten, doch die Zusagen des Westens sind bescheiden und mit harten Forderungen nach sozialen Einschnitten verbunden. Eine Abkapselung von Russland droht indes mit weiteren Zehntausenden Arbeitslosen und Ausfällen von Steuereinnahmen.

6) Die ukrainischen Beziehungen mit Russland sind zerrütet, die politischen Kontakte sind auf Eis, da Moskau die aktuelle Kiewer Junta nicht anerkennt. Die russische Bevölkerung ist durch die Ereignisse in Kiew konsolidiert wie nie, der Unterstützungsgrad für Putin liegt bei 70%. Der von Janukowitsch ausgehandelte Gasrabatt ist ab April passé.

7) Durch das Land ziehen marodierende Nationalistenbanden, die sich mittlerweile aus Armeebeständen bewaffnet haben und die niemand aus der aktuellen Kiewer Führung entwaffnen kann und will.

All dies geschah, um einen Präsidenten zu stürzen, der in mehreren Monaten ohnehin kaum Aussicht auf eine reguläre Wiederwahl hätte.

Auf der internationalen Bühne hat die Ukraine-Krise für einen neuen Kalten Krieg gesorgt. Den Russen ist endgültig klar geworden, dass die doppelten Standards des Westens bei der immer weiteren Vordringung nach Osten nicht mehr hinnehmbar sind. Es herrscht mittlerweile eine Entschlossenheit, russische Interessen ohne Rücksicht auf westliche Reaktionen zu verteidigen. Der Westen, der mit dem einseitigen Druck auf Janukowitsch die aktuelle illegale Situation massiv herbeiführen half und diese nun äußerst selektiv wahrnimmt und tendenziös bewertet, hat in den Augen der repräsentativen russischen Mehrheit jegliche Glaubwürdigkeit und Autorität verloren.

Die USA verstoßen sogar gegen ihre eigene Gesetzgebung, die finanzielle Hilfen an Kräfte, die durch einen gewaltsamen Sturz eines demokratisch gewählten Präsidenten an die Macht kommen, eindeutig verbietet. Die EU demonstriert sagenhafte Doppelzüngigkeit, wenn sie die Kiewer Regierung, nicht aber die Krim-Regierung als legitim anerkennt. Wenn die Euro-Bürokraten das Recht der Krim auf Selbstbestimmnung ohne Rücksprache mit der Ukraine ablehnen, dann widersprechen sie sowohl der eigenen Position in Bezug auf Kosovo, als auch der Entscheidung des Internationalen Gerichtshof in Den Haag, die 2010 die einseitige Unabhängigkeitserklärung als mit dem Völkerrecht vereinbar einstufte.

Ein weiteres Beispiel für die doppelten Standards der westlichen Medien und der Politik, die früher die Inhaftierung von Julia Timoschenko als politisch motiviert geißelten, ist die Nichtbeachtung der aktuellen Strafverfolgung des früheren Charkower Gouverneuer Michail Dobkin, der als Präsidentschaftskandidat des Südostens bei den Wahlen am 25. Mai antreten will. Das einzige Vergehen von Dobkin war es, eine gesellschaftliche Diskussion über eine Föderalisierung der Ukraine zu fordern, wofür er sich jetzt den Vorwurf des Separatismus eingehandelt hat. Eine gezielte westliche Nichtbeachtung findet die harte Zensur, die sich in den letzten Tagen im ukrainischen Medienumfeld eingestellt hat. Russische Sender wurden gezielt aus den Kabelnetzen ausgeschlossen, um eine völlige Isolierung der Bevölkerung von altenativer Information zu erreichen. So verstehen die Kiewer Machthaber Meinungs- und Informationsfreiheit. In Deutschland wird anstelle der Beleuchtung dieser Vorgänge eine Fixierung auf die Krim betrieben und lieber eine abstrahierte dumpfe Russland-Phobie aus den Zeiten des Kalten Krieges geschürt.

5 Kommentare:

Anonym hat gesagt…

Schön dass man mal wieder etwas aus Kiew hört.
Ansonsten habe ich Ihrer korrekten Analyse nichts hinzuzufügen.

Stirlitz hat gesagt…

Lieber Unbequermer, ich habe zwei Fragen. 1) Westliche Medien behaupten, dass Russland rechte Parteien als Wahlbeobachter auf die Krim eingeladen hat. Trifft das zu, ist es eine reine Erfindung oder nicht die ganze Wahrheit? Vielleicht wurden ja alle Parteien eingeladen???

2) Es heißt in Westmedien, in dem Referendum seien nur zwei Antworten möglich: Die Krim soll zu Russland kommen oder sie soll unabhängig werden. Ein Verbleib bei der Ukraine ist als Antwort nicht vorgesehen.

Sollten diese Behauptungen zutreffen, fände ich das bedenklich. Aber man weiß ja nicht, was man unseren Medien noch glauben kann. Ich wäre für eine Antwort dankbar.

der unbequeme hat gesagt…

Hallo Stirlitz,

freut mich, dass Sie weiterhin in meinem Leserkreis bleiben.

Zu 1) kann ich mir nicht vorstellen, dass die Krim-Regierung ausschließlich rechte Parteien eingeladen hat. Laut russischem TV wurden Vertreter verschiedenster europäischer Parteien eingeladen. Die meisten wollen das Referendum jedoch boykottieren. Auch die OSZE wurde zur Wahlbeobachtung (nicht zur Truppenbeobachtung!) eingeladen. Sie will jedoch nicht ohne eine Einladung der "legitimen" Regierung in Kiew teilnehmen und besteht darauf, dass sie auf diese Weise "keine Einladung" hat.

Link: http://www.bbc.co.uk/russian/international/2014/03/140310_crimea_referendum.shtml
http://www.tagesschau.de/ausland/krim260.html


Zu 2) Das ist eine klare Lüge. Die Krim-Autonomie hat bereits durch einen Parlamentsentscheid diese Woche ihre Unabhängigkeit ausgerufen. Das ist sowohl mit dem Völkerrecht vereinbar (Entscheidung in Den Haag 2010), als auch laut UNO-Statut eine Voraussetzung für ein gültiges Beitrittsreferendum zu einem anderen Staat. Die beiden Wahloptionen beim Referendum sind:

- die Republik Krim wird erneut zu einem Subjekt der Russischen Föderation

- die Republik Krim schließt mit der Ukraine einen neuen Staatsvertrag ab, der ihr im Verbund der Ukraine deutlich erweiterte Autonomierechte gewährt (Verfassung von 1992).

Sofern Sie des Russischen mächtig sind, können Sie den Wahlzettel hier sehen:
http://korrespondent.net/ukraine/politics/3316375-obnarodovan-builleten-holosovanyia-dlia-krymskoho-referenduma

Anonym hat gesagt…

Leider muß ich Ihnen bezüglich Ihrer Analyse Recht geben! Die Doppelzüngigkeit des Westens war noch nie so deutlich wie jetzt in der Ukraine. Gregor Gysi sprach dazu gestern im Bundestag, die Rede ist hörenswert: https://www.youtube.com/watch?v=ezEjykTJjVk
Selbst Altkanzler Helmut Kohl hat sich in der "Bild" zur Situation in der Ukraine sehr kritisch geäußert: http://www.bild.de/politik/inland/helmut-kohl/mahnt-in-ukraine-krise-zu-besonnenheit-35030200.bild.html (Vorsicht, der Link geht zur Bild-Zeitung)
Das alles schreckt aber einen Hardliner wie Merkel überhaupt nicht ab. Kontinuierlich verfolgt sie ihren Weg, der nur nicht deeskalierend ist. Auf der einen Seite stellt man Russland vor immer mehr vollendete Tatsachen (droht nun schon mit der NATO) und verlangt dann von Moskau, daß eingelenkt werden soll. Wie dumm muß man denn sein, eine solche völlig unverantwortliche und kontraproduktive Außenpolitik zu führen? Diese Frau scheint von allen guten Geistern verlassen zu sein, anderes kann ich mir dieses Kalte Kriegs Gebaren nicht erklären.
Peter Scholl-Latour, einer der ganz wenigen westlichen Journalisten, die das Treiben des Westens kritisch sehen, hat sich auch zur Situation in der Ukraine geäußert. https://www.youtube.com/watch?v=YDr-WB2mDK8 Ab 8:45 min äußert er sich dazu.
Interessant daran finde ich, was er zu den Sanktionen der Europäer zu sagen hat. Merkel und Co warnen Russland immer wieder davor, daß die Sanktionen vor allem die Russen treffen werden. Scholl-Latour sieht das aber völlig anders: "Die Europäer werden mehr leiden unter den Sanktionen als die Russen." Das behaupte ich auch schon die ganze Zeit und wurde bisher nur belächelt.

Anonym hat gesagt…

Heute gefunden und mit vorsicht zu genießen: http://info.kopp-verlag.de/hintergruende/europa/gerhard-wisnewski/krieg-am-15-maerz-gehackte-e-mails-enthuellen-false-flag-operation-gegen-die-russen.html